Sohle Mio
Friedrichs Horizont
Horizontaler Kontrollverlust
Tretbürstenmaler
Farbhundschlitten
Drehsäulentour |
Friedrichs Horizont
Friedrichs Horizont
Eine Arbeit über das Betrachten der Welt in der Kunst, über den Blick, der den Horizont zu überschreiten versucht und über das Gefühl der Erhabenheit.
Link: https://vimeo.com/478567927
Im Rahmen der Aktion »Horizontaler Kontrollverlust« wurde die Arbeit in der Hamburger Kunsthalle präsentiert.
Link zum Video »Horizontaler Koontrollverlust«: https://vimeo.com/302569078
Auszug aus den Aufzeichungen
zum »Horizontalen Kontrollverlust«:
Trampolinspringen vor dem Gemälde »Wanderer über dem Nebelmeer« von Caspar David Friedrich
– Einige Sätze zum Bild und zur Romantik
– währenddessen Aufbau des »Trampolins« (Attrappe aus Stoff)
– Trampolinspringen simulieren (Hilfestellung durch zwei Assistenten)
– Filme von Springern auf einem Monitor (iPad) zeigen
– Nachfrage an Springer oder Beobachter
Der »Wanderer steht an einem Felsvorsprung und blickt in die Ferne, in die Tiefe und auf die Berggipfel
am Horizont. Wir blicken auf den Wanderer, sehen ihn von hinten und versuchen zu erahnen, was er sieht.
Das Gemälde ist eine Ikone der Kunst der Romantik. C. D. Friedrich lenkt unseren Blick auf die Größe und Weite
der Natur. Es ist eine ideale Natur, eine Natur, die uns staunen lässt. Das Bild zeigt etwas von dem, was zur
Zeit der Romantik Erhabenheit genannt wurde und das jenseits des Schönen der Kunst innewohnen sollte
(siehe unten).
Mit den Trampolinsprüngen vor dem Bild ändert sich der Blick auf das Bild, den Wanderer und auf den Blick
des Wanderers. Kann ich beim Springen sehen, was der Wanderer sieht? Kann ich mehr über das Bild
erfahren, wenn sich mein Horizont
beim Springen verändert? Kann ich etwas über meinen Blick auf die Welt
erfahren?
Derjenige, der den Springer vor dem Bild beobachtet, steht vor der Arbeit »Friedrichs Horizont« von Martin Woltermann und Klaus Möller. Er fragt sich vielleicht, was der Springer sieht. Das Gemälde, das Bild, der Wanderer,
das Trampolin, der Springer, der Ausstellungsraum und der Betrachter selbst werden zum Teil der Arbeit.
Die Springerin erreicht den Höhepunkt, den Peak des Sprungs mit etwas Anstrengung. Wie anstrengend war
der Aufstieg des Wanderers? Wie besteigt man in der heutigen Zeit Berggipfel? Haben der Fokus auf die individuelle Körpererfahrung des Aufstiegs und des Es-auch-geschafft-habens, den Blick auf das verdrängt, was
C. D. Friedrich im Blick hatte? Die in den »sozialen« Netzwerken verbreiteten Selfies von durchtrainierten Gipfelstürmer:innen in leuchtender Hitec-Funktionskleidung zeigen eher den Blick auf die individuelle
Leistungsfähigkeit der sich selbst betrachtenden Freizeitsportler:innen.
Die Berglandschaft im Hintergrund des
Selfies dient nur als Kulisse.
Theoretische Anknüpfungen:
Das Erhabene als Maßstab künstlerischer Werke.
Um Landschaft und Natur zu erleben, wandert der Mensch durch Wälder und Täler, steigt auf Hügel und klettert auf Berge. Oben angekommen, die physische Anstrengung des Aufstiegs spürend, blickt er in die weite Landschaft und sieht sich einer fast unermesslichen, gewaltigen, vielleicht bedrohlichen Welt/Natur
gegenüber. Wer weit hinauf steigt, kann tief in den Abgrund schauen. Dieses über die sinnliche Erfahrung
hinaus gehende Erleben wird seit dem 18. Jh. als das Erhabene bezeichnet und vom Schönen
unterschieden.
Laut Kant ist schön, was ohne alles Interesse gefällt. Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen
das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt (I. Kant, Kritik der Urteilskraft, 1788). Z.B. etwas, das anhand
seiner Größe beeindruckt und erschreckt. Das Schöne bindet uns an die sinnliche Welt, das Erhabene
hingegen befreit uns davon, so Schiller im Anschluss an Kant (F. Schiller, Über das Erhabene, 1789). Nach
Schiller liegt das sinnliche Spiel im Schönen und das Ideal der Vernunft im Erhabenen. Das eine befreit vom
Gefühl der physischen Begrenztheit, das andere vom dem der geistigen Begrenztheit.
In der Kunst der Romantik wurde mit dem Begriff des Erhabenen versucht sich von der Verherrlichung
gesellschaftlicher Ordnungsmächte und »Regelästhetik« zu befreien und »Authentizität« ins Zentrum des
künstlerischen Schaffens zu stellen (Vgl. Luhmann 1997, S. 145ff).
»Man sucht gewissermaßen Restpositionen, die noch einen Anspruch auf Authentizität erheben können,
und entnimmt ihnen Anregungen für authentische Kunst. Als Darstellung von Grenzphänomenen, die über
sich hinausweisen, als Darstellung des nicht Darstellbaren wird das, was nicht beobachtet werden kann, in
die Kunst selbst einbezogen.« (Luhmann 1997, S. 146f)
Das Werk Caspar David Friedrichs steht hierfür exemplarisch. Der »Wanderer« blickt am Rande einer
Felsklippe in eine Gebirgslandschaft, die zum Teil unter Nebelschwaden verborgen liegt. Am Horizont das
Unermessliche, davor die Größe der Natur als unerreichbare Weite und tiefer Abgrund. Ein Abbild des
Erhabenen, von dem der Mensch ein Teil ist.
Als ästhetische Kategorie erscheint »Das Erhabene« als Kritik an der damaligen Unterwerfung der Kunst
unter die gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Künstler wie Friedrich suchen in der Naturschönheit etwas,
das darüber hinausreicht. Ist das Erhabene beim Anblick von Friedrichs Gemälden spürbar? Ist es »Der
Wanderer über dem Nebelmeer« mehr als ein hübsches Postkartenmotiv, das den Betrachter dazu nötigt,
es als etwas Besonders wiederzuerkennen? Sobald das Sublime (das Erhabene) Form annehme, zeige es
eine Seite, von der aus es als modisch und als lächerlich beobachtet werden kann, so Luhmann.
|