Martin Woltermann | Klaus Möller
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Eingriffe in den öffentlichen Raum - Aktionen - Objekte

von Martin Woltermann und Klaus Möller



Sohle Mio

Friedrichs Horizont

Horizontaler Kontrollverlust

Tretbürstenmaler

Farbhundschlitten

Drehsäulentour
Friedrichs Horizont


Friedrichs Horizont


Eine Arbeit über das Betrachten der Welt in der Kunst, über den Blick, der den Horizont zu überschreiten versucht und über das Gefühl der Erhabenheit.

Link: https://vimeo.com/478567927

Im Rahmen der Aktion »Horizontaler Kontrollverlust« wurde die Arbeit in der Hamburger Kunsthalle präsentiert.

Link zum Video »Horizontaler Koontrollverlust«: https://vimeo.com/302569078


Auszug aus den Aufzeichungen zum »Horizontalen Kontrollverlust«:

Trampolinspringen vor dem Gemälde »Wanderer über dem Nebelmeer« von Caspar David Friedrich

– Einige Sätze zum Bild und zur Romantik
– währenddessen Aufbau des »Trampolins« (Attrappe aus Stoff)
– Trampolinspringen simulieren (Hilfestellung durch zwei Assistenten)
– Filme von Springern auf einem Monitor (iPad) zeigen
– Nachfrage an Springer oder Beobachter

Der »Wanderer steht an einem Felsvorsprung und blickt in die Ferne, in die Tiefe und auf die Berggipfel am Horizont. Wir blicken auf den Wanderer, sehen ihn von hinten und versuchen zu erahnen, was er sieht.

Das Gemälde ist eine Ikone der Kunst der Romantik. C. D. Friedrich lenkt unseren Blick auf die Größe und Weite der Natur. Es ist eine ideale Natur, eine Natur, die uns staunen lässt. Das Bild zeigt etwas von dem, was zur Zeit der Romantik Erhabenheit genannt wurde und das jenseits des Schönen der Kunst innewohnen sollte (siehe unten).

Mit den Trampolinsprüngen vor dem Bild ändert sich der Blick auf das Bild, den Wanderer und auf den Blick des Wanderers. Kann ich beim Springen sehen, was der Wanderer sieht? Kann ich mehr über das Bild erfahren, wenn sich mein Horizont
beim Springen verändert? Kann ich etwas über meinen Blick auf die Welt erfahren?

Derjenige, der den Springer vor dem Bild beobachtet, steht vor der Arbeit »Friedrichs Horizont« von Martin Woltermann und Klaus Möller. Er fragt sich vielleicht, was der Springer sieht. Das Gemälde, das Bild, der Wanderer, das Trampolin, der Springer, der Ausstellungsraum und der Betrachter selbst werden zum Teil der Arbeit.

Die Springerin erreicht den Höhepunkt, den Peak des Sprungs mit etwas Anstrengung. Wie anstrengend war der Aufstieg des Wanderers? Wie besteigt man in der heutigen Zeit Berggipfel? Haben der Fokus auf die individuelle Körpererfahrung des Aufstiegs und des Es-auch-geschafft-habens, den Blick auf das verdrängt, was C. D. Friedrich im Blick hatte? Die in den »sozialen« Netzwerken verbreiteten Selfies von durchtrainierten Gipfelstürmer:innen in leuchtender Hitec-Funktionskleidung zeigen eher den Blick auf die individuelle Leistungsfähigkeit der sich selbst betrachtenden Freizeitsportler:innen. Die Berglandschaft im Hintergrund des Selfies dient nur als Kulisse.

Theoretische Anknüpfungen:

Das Erhabene als Maßstab künstlerischer Werke. Um Landschaft und Natur zu erleben, wandert der Mensch durch Wälder und Täler, steigt auf Hügel und klettert auf Berge. Oben angekommen, die physische Anstrengung des Aufstiegs spürend, blickt er in die weite Landschaft und sieht sich einer fast unermesslichen, gewaltigen, vielleicht bedrohlichen Welt/Natur gegenüber. Wer weit hinauf steigt, kann tief in den Abgrund schauen. Dieses über die sinnliche Erfahrung hinaus gehende Erleben wird seit dem 18. Jh. als das Erhabene bezeichnet und vom Schönen unterschieden.

Laut Kant ist schön, was ohne alles Interesse gefällt. Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt (I. Kant, Kritik der Urteilskraft, 1788). Z.B. etwas, das anhand seiner Größe beeindruckt und erschreckt. Das Schöne bindet uns an die sinnliche Welt, das Erhabene hingegen befreit uns davon, so Schiller im Anschluss an Kant (F. Schiller, Über das Erhabene, 1789). Nach Schiller liegt das sinnliche Spiel im Schönen und das Ideal der Vernunft im Erhabenen. Das eine befreit vom Gefühl der physischen Begrenztheit, das andere vom dem der geistigen Begrenztheit.

In der Kunst der Romantik wurde mit dem Begriff des Erhabenen versucht sich von der Verherrlichung gesellschaftlicher Ordnungsmächte und »Regelästhetik« zu befreien und »Authentizität« ins Zentrum des künstlerischen Schaffens zu stellen (Vgl. Luhmann 1997, S. 145ff).

»Man sucht gewissermaßen Restpositionen, die noch einen Anspruch auf Authentizität erheben können, und entnimmt ihnen Anregungen für authentische Kunst. Als Darstellung von Grenzphänomenen, die über sich hinausweisen, als Darstellung des nicht Darstellbaren wird das, was nicht beobachtet werden kann, in die Kunst selbst einbezogen.« (Luhmann 1997, S. 146f)

Das Werk Caspar David Friedrichs steht hierfür exemplarisch. Der »Wanderer« blickt am Rande einer Felsklippe in eine Gebirgslandschaft, die zum Teil unter Nebelschwaden verborgen liegt. Am Horizont das Unermessliche, davor die Größe der Natur als unerreichbare Weite und tiefer Abgrund. Ein Abbild des Erhabenen, von dem der Mensch ein Teil ist.

Als ästhetische Kategorie erscheint »Das Erhabene« als Kritik an der damaligen Unterwerfung der Kunst unter die gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Künstler wie Friedrich suchen in der Naturschönheit etwas, das darüber hinausreicht. Ist das Erhabene beim Anblick von Friedrichs Gemälden spürbar? Ist es »Der Wanderer über dem Nebelmeer« mehr als ein hübsches Postkartenmotiv, das den Betrachter dazu nötigt, es als etwas Besonders wiederzuerkennen? Sobald das Sublime (das Erhabene) Form annehme, zeige es eine Seite, von der aus es als modisch und als lächerlich beobachtet werden kann, so Luhmann.